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Gedanken zu Medea

          ( ...die ich mir gemacht habe, als ich im Frühjahr 2017 in Dresden für Medea geprobt hab)

I

Die Patriarchin verläßt das Haus nicht ohne Grund. Heimwärts wendet sich ihr Blick, zu den Flüssen ihrer Heimat, zu den Wäldern ihres Lands. Stets war sie zu Diensten, stets war sie bereit, doch nun ist sie voll Sorge um ihr Leben, voll des Grams ob erduldeter Schmach.

Ein Etwas zuviel gab den Ausschlag für den Anschlag. Ein Etwas zuviel nahm ihr den Verstand, den zu gebrauchen sie bisher weise war. Doch wenn sie nun Brände setzt und Feuer sät im Land, so geschieht dies, um fruchtbares Land zu zeugen. Land, das sie zum Leben braucht. Land, das ihr Wesen verzehren wird, denn es ist hungrig nach Wahrheit und Entsprechung. Doch geht sie ein Etwas zu weit und setzt ein Etwas zuviel in Brand. So droht Zerstörung, wo Düngung sollte, kommt Haß, wo Liebe sollte sein. Die Harmonien sind zerstört auf immerdar, die Welt nun schief und gescheckt, fleckig das Licht und schwarz das Herz. Medea ist der Schluß ihrer Welt. Zuviel Verrohtheit, zuviel Verbannung echten Seins, zuviel Anordnung falscher Lügen. Wo ist das Echte? Wo ist Medea?

 

 

II

Und wenn sie nun auszieht, zu steinigen die Frevler, so kümmert sie sich um ihr Herz, das, lange schon zu hart geschlagen, nicht weiß, wo Leben, wo Tod anfängt. Aufhören wird sie alles, was lebendig war, damit sie leben kann. Was ist übrig? Leben oder Hülle? Sein oder Haben? Quelle oder Weg zu anderem Quell? Wo fängt sie an? Wo hört es auf? Arme, Beine, Haut, Knochen. Tief unter der Seele ist ein Platz auf der Erde, der jedem gehört. Such den Platz, du hast ihn verloren. Denn neu will sein die Welt. Und neu sollst auch du sein, Medea. Frag nicht, wohin. Frag: woher!

 

 

 

III

 

Kryptisch, die Welt; Verlangen und Sehnen vereint gegen das Sein. Nichts ist am Platz, doch Stolz regt sich auf. Der Platz ist zu klein, doch Stolz macht sich groß. Denn Regen kränkt die Sonne nicht. Sie weiß, daß ihre Strahlen durchbohren den Regen, durchbohren den Himmel und alle Vögel und Flüsse. Auch du wirst durchbohrt von Helios, dem Vater meines Vaters, denn ich bin die Einzige, die leuchtet bei Nacht. Ich habe Augen im Innern, die sehen das Innen von dir. Ihr wollt mich dunkel und blind, wie ihr es seid. Doch ich sage euch: eure Blindheit tötet mich, wenn ich nicht handle.

So gehe ich aus dem Haus und säe das Feuer. Strahlen heller Flammen scheinen durch euch, durchleuchten eure Innereien und geben preis euer verwestes Wesen, ihr Krüppel der Zivilisation, ihr Krüppel eurer Gesellschaft. Toterzogen habt ihr euch. Mich erzieht ihr nicht. Jedes Haar bäumt sich, alles wehrt sich, alles sträubt den Sinn nach außen und beißt die Schranken weg. Weg mit den Lähmungen der Gesichter, weg mit den Hemmungen der Verhalten. Allein das große Wesen lebt und blüht und erweckt

sich selbst zu neuem Sein. Allein.

In innerer Verbannung würd ich sterben, in äußerer nicht.

Meda Staatsschauspiel Dresden
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